Loslassen und zurückkommen
Moritz Schürch und Martin Thut
Für den Patienten bedeutet eine Anästhesie immer ein Kontrollverlust über Bestandteile seiner Wahrnehmung und sogar seines Bewusstseins. Damit liefert sich der Patient dem Anästhesieteam aus. Er muss sich dem Betreuungsteam anvertrauen – und einen Moment lang loslassen können.
Unmittelbar vor einer Operation leistet der Patient einen Vertrauensvorschuss gegenüber dem Anästhesieteam: Am KSGL nimmt Dr. med. Moritz Schürch Einfluss auf die Schmerzempfindung und – wie bei der Knieoperation seines Patienten Martin Thut – im Falle einer Vollnarkose auch auf das Bewusstsein des Patienten. So kann der behandelnde Chirurg den Patienten unter optimalen Bedingungen operieren. In der Anästhesie werden hochwirksame Medikamente zur Bewusstseinsausschaltung, Schmerzbefreiung und Muskelentspannung eingesetzt, individuell angepasst nach dem Prinzip: «So viel wie nötig, so wenig wie möglich.»
Moritz Schürch: Herr Thut, wovor hatten Sie bei der Operation an Ihrem Knie am meisten Respekt?
Martin Thut: Vor der Wartezeit vor der Operation; ich habe mich allerdings selbst negativ beeinflusst, indem ich kurz vor der Operation noch viele wichtige Sachen erledigen wollte.
Moritz Schürch: Sie hatten für Ihren Eingriff die Wahlmöglichkeit zwischen einer Teilanästhesie der unteren Körperhälfte und einer Vollnarkose. Welche Überlegungen haben Ihre Wahl beeinflusst? Die von Ihnen bevorzugte Vollnarkose bedeutet auch einen Kontrollverlust. Hatten Sie Angst davor?
Martin Thut: Das war nicht meine erste Vollnarkose. Im Kantonsspital Glarus sind die Ärzte und das Fachpersonal sehr gut ausgebildet. Ich bin bereits zweimal am Rücken operiert worden und hatte glücklicherweise nie irgendwelche negativen Nachwirkungen.
Moritz Schürch: Wie konnten Sie das Vertrauen dem Anästhesieteam gegenüber aufbauen? Gab es einen Schlüsselmoment, der Ihre Bedenken zerstreut hat?
Martin Thut: Das ausserordentlich freundliche und sachliche Gespräch mit Ihnen, Herr Dr. Schürch. Das Gespräch verlief humorvoll und zweckmässig, alle Fragen wurden unkompliziert beantwortet.
Moritz Schürch: Danke für diese schöne Rückmeldung. Oft bleiben aufgrund der Anästhesiemedikamente nur diffuse Erinnerungen an die Zeit unmittelbar vor und nach der Operation. Was war Ihre letzte Erinnerung vor dem Einschlafen? Was ist die erste Erinnerung beim Erwachen? Wie haben Sie das «Zurückkommen» erlebt?
Martin Thut: Vor der Operation war es das Gespräch der anwesenden Fachpersonen: «Gib ihm mehr Mittel der schläft nicht ein! – Zächä Typ.» Nach der Operation nahm ich meine Frau und die Pflegefachfrau HF Annina Thut an meinem Bett zuerst wahr. Ich war ein wenig benommen und müde, fühlte mich aber wohl und hatte keine Übelkeit. Die Bemerkung vom «zächä Typ» beim Einschlafen war für mich übrigens kein Problem. Bei anderen Patienten könnte diese Wortwahl allerdings weniger gut ankommen.
Moritz Schürch: Danke auch für diese Rückmeldung, die meinem Team und mir zeigt, wie wichtig eine achtsame Kommunikation während der ganzen Betreuungszeit ist. Welche Erfahrung möchten Sie mit Patienten teilen, die sich in Zukunft aufgrund einer geplanten Operation mit einer Anästhesie auseinandersetzen müssen?
Martin Thut: Wichtig ist das Vorgespräch mit dem Anästhesiearzt. Und es hilft, der Angelegenheit mit Optimismus zu begegnen. Wer sich vorgängig damit befasst, hat im Vorgespräch die richtigen Fragen und Bedenken bereit und kann diese beim Arzt anbringen.
Herr Schürch, jetzt muss ich Sie auch noch etwas fragen: Während der Operation war ich ja quasi temporär weg. War die betreuende Anästhesieärztin die ganze Zeit bei mir?
Moritz Schürch: Eine Anästhesiebetreuung ist immer eine Teamleistung. Der Anästhesiearzt oder die -ärztin wird dabei von Pflegeexpertinnen und -experten mit einer Spezialausbildung unterstützt. Die Anästhesieeinleitung, aber auch die Betreuung während kritischen Phasen einer Operation werden immer zu zweit begleitet. Bei jedem Patienten, der vom Anästhesieteam betreut wird, ist die lückenlose Anwesenheit mindestens eines Teammitglieds gewährleistet: von der Anästhesieeinleitung bis zur Übergabe an das nachbetreuende Team der Bettenstation, des Aufwachraums oder der Intensivstation. Bei Problemen ist sofort mindestens eine weitere Fachperson verfügbar. Sie begeben sich für die Anästhesiebetreuung somit an einen sehr sicheren Ort.
Im Gespräch
Dr. med. Moritz Schürch ist Chefarzt Anästhesie und Mitglied der Geschäftsleitung. Er arbeitete vor seinem Stellenantritt im Kantonsspital Glarus während mehr als 15 Jahren als Leitender Arzt am Kantonsspital Aarau. Er studierte Medizin an der Universität Zürich und hat am Universitätsspital Basel die Facharzttitel Anästhesie und Intensivmedizin, sowie den Fähigkeitsausweis Notarzt erworben. Mit der Stelle am Kantonsspital Glarus erfüllt sich der in Chur geborene Arzt einen Wunsch: vielseitige Arbeit mit viel direktem Patientenkontakt und erweiterter Verantwortung in einem Spital mittlerer Grösse in einer Bergregion.
Martin Thut ist 1967 im Kantonsspital geboren und in Schwanden aufgewachsen. Der gelernte Spengler übernahm 2009 als Geschäftsführer die Stüssi-Spenglerei AG in Glarus. Seine militärische Laufbahn verbrachte er als Gebirgsinfanterist. Der Vater von zwei Söhnen ist soeben stolzer Grossvater geworden. Am KSGL wurde Martin Thut am Knie an beiden Menisken und am Kreuzband operiert.
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