Früherkennung lohnt sich
Ahmet Kocaoglu und Sabine Hämmerli
Es ist medizinisch längst bekannt, dass ein Ungleichgewicht im Magen-Darm-Bereich Auswirkungen auf den gesamten Organismus hat. Als die junge Wissenschaftlerin Giulia Enders mit ihrem Buch «Darm mit Charme» die Bestsellerlisten stürmte, holte sie diese körperliche Randregion aus dem Schattendasein. Das Buch wurde im ersten Jahr über eine Million Mal verkauft. So ist der Magen-Darm-Trakt mithilfe der Populärliteratur enttabuisiert worden. Der Magen-Darm-Bereich ist äusserst kompliziert. Regelmässige Untersuchungen helfen bei der Früherkennung und gehören zur umfassenden Gesundheitsvorsorge – nicht nur bei erblich vorbelasteten Risikopatienten.
Ahmet Kocaoglu: Ein Sachbuch-Bestseller hat die Gesellschaft auf den Magen-Darm-Trakt aufmerksam gemacht und das Bewusstsein erhöht, dass dieser Bereich das Wohlbefinden beeinflusst. Haben Sie das Buch gelesen?
Sabine Hämmerli: Ja, ich habe es mit grossem Spass und auch mit Staunen gelesen, obwohl ich bereits vorher Fachwissen hatte! Der Darm wird zu Recht als eigenes Universum beschrieben. Und durch dieses Buch habe ich nebst grosser Ehrfurcht auch Dankbarkeit und Liebe zu meinem Darm entwickelt.
Ahmet Kocaoglu: Dass das Bewusstsein in der Gesellschaft wächst, beobachte ich auch als Gastroenterologe. Die Aufklärungskampagnen von Ärzten und Prominenten haben die Menschen für die Vorsorge-Untersuchung (Koloskopie) sensibilisiert und mit falschen Mythen aufgeräumt. Untersuchungen werden als unangenehm empfunden. Dank der Aufklärung ist die Bereitschaft für die Darmvorsorge-Untersuchung in den letzten Jahren stark gewachsen. Patienten haben immer noch Angst und Respekt, z.B. vor einer Darmspiegelung, aber diese Ängste nehmen massiv ab.
Im Gespräch
Dr. med Ahmet Kocaoglu ist seit 2018 als Leitender Arzt der Gastroenterologie für das Kantonsspital Glarus tätig. Aus seiner früheren Tätigkeit am Katholischen Klinikum Essen (Philippusstift) bringt er eine umfassende Expertise in der Gastroenterologie mit. In der Freizeit ist er begeisterter Radfahrer und Kitesurfer.
Sabine Hämmerli ist 59-jährig und wohnt in Engi. Sie arbeitet als Mütter- und Väterberaterin und hat eine eigene Praxis für psychologische Beratung und Massagen. Ihre Freizeit verbringt sie in der Natur. Fotografieren und Schnorcheln im Meer gehören zu ihren vielfältigen Interessen und Hobbys.
Frau Hämmerli, Sie kamen für eine Erstdiagnose zu uns ans Kantonsspital Glarus. Hatten Sie Bedenken, dass die Untersuchung schwierig sein könnte?
Sabine Hämmerli: Ja, ich hatte Angst, dass die Untersuchung schmerzhaft sein könnte. Ich kam vor etwa zehn Jahren zum ersten Mal zur Koloskopie. Ein Bekannter, der diese auch schon erlebt hatte, gab mir den Ratschlag, dass es besser sei, möglichst ohne Schmerzmittel auszukommen. Diese Information stellte sich dann aber glücklicherweise als falsch heraus.
Ahmet Kocaoglu: Gute Beruhigungsmittel helfen auf jeden Fall. Bei der Videoendoskopie können Polypen zum Beispiel direkt beim Untersuch entfernt werden. Eine Früherkennung kann also durchaus einen späteren operativen Eingriff verhindern. Die erste Darmspiegelung kostet die Patienten eine grosse Überwindung, aber nachdem sie selbst erfahren haben, wie schmerzlos diese ist, kommen sie in der Regel ohne Angst zur Kontrolluntersuchung.
Wenn Sie zurückdenken, Frau Hämmerli, gab es bei der Untersuchung etwas Verblüffendes?
Sabine Hämmerli: Es war verblüffend für mich, dass diese Untersuchung dank einer tiefen Sedierung mit einem Narkosemittel völlig schmerzlos für mich war. Falls man aber wach bleiben will oder kurz vor dem Ende der Koloskopie erwacht, ist es faszinierend mitzubekommen, wie der Darm inwendig aussieht, was für ein Wunder dieses Organ ist, das so zentral für unser Wohlbefinden ist. Gut zu wissen ist auch, dass bereits während der Untersuchung kleine Eingriffe vorgenommen werden könnten. Mich hat es beruhigt, dass ich unmittelbar nach der Koloskopie erfahren habe, wie es um meinen Darm steht.
Und falls doch ...
«... falls sich bei einem Patienten in der Untersuchung ein Dickdarmkrebs zeigt, werde ich für die weitere Behandlung hinzugezogen. Es folgen weitere Abklärungen mit allen Spezialisten, um die individuell beste Lösung anzubieten. Meist ist eine Operation mit Entfernen eines Darmteils notwendig. Diese Operationen führen wir mit moderner Schlüssellochtechnik sehr schonend minimalinvasiv durch. Darum erholen sich die Patienten viel rascher von der Operation.»
PD Dr. med. Eliane Angst ist Chefärztin der Chirurgischen Klinik und Mitglied der Geschäftsleitung am Kantonsspital Glarus. Nach ihren Assistenzjahren war Eliane Angst als Oberärztin am Inselspital Bern und in leitenden Funktionen an der Klinik Singen und am Spital Schaffhausen tätig. Seit 2017 arbeitet Eliane Angst in Glarus, wo sie auch wohnt.
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